Auf den Spuren des Gemeinwohls in Nürnberg

Ich bin schon im 2. Durchgang des Masterstudienganges “Gelebte Gemeinwohlökonomie” Dozentin für Gemeinwohl Bilanz in der Praxis. Dieses Mal haben mich die Studierenden eingeladen, an ihrer Exkursion nach Nürnberg teilzunehmen, die einer von ihnen akkribisch vorbereitet hat. Die 3 Tage waren vollgepackt mit Eindrücken, Erfahrungen, Austausch und Inspiration. Das musste ich ein paar Wochen verdauen um es hier neu zu ordnen.

Ankunft in Nürnberg

Im ICE direkt von Wien nach Nürnberg bin ich zufällig hinter meinem Dozenten-Kollegen Reinhard Paulesich zum Sitzen gekommen, einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und Ökonomie! So sind wir zu zweit von der Gruppe in Empfang genommen worden, die ich bisher nur online unterrichtet hatte. Es ist immer wieder erstaunlich, dass man dennoch das Gefühl hat, man kennt sich schon gut. Vielleicht liegt das aber auch an einem ähnlichen Mindset.

Mit U-Bahn und Bus ging es nach Stein bei Nürnberg zu unserem Hotel. Das Kunstquartier Stein hat eine Gemeinwohlbilanz erstellt und ist besonders auf Nachhaltigkeit bedacht. In Stein zieht sich ein Thema durch: Faber-Kastell hat hier seinen Sitz. Die schön renovierten Bauwerke aus der Frühzeit der Industrialisierung und das Schloss beherrschen den ersten Eindruck. Im Hotel wird die Farbwelt aufgegriffen. Die Zimmer haben keine Nummern, sondern Farbnamen. Ich nächtige in Chromoxidgelb. Damit ich das nicht vergessen kann, sind viele Accessoires im Zimmer in dieser Farbe gehalten.

Stadt kennenlernen

Nach einer schlecht durchschlafenen Nacht und einem wunderbaren Bio-Frühstück geht es auf, die Stadt zu erkunden. Sonne, Regen und Gewitter begleiten uns durch den Tag. Es ist ziemlich huschi. Erste Station: Wirtschaftsdepartment im Rathaus. Mit dem Leiter der Wirtschaftsabteilung und einem Mitarbeiter der Förderabteilung haben wir einen sehr interessanten und wertschätzenden Austausch über Gemeinwohl-Ökonomie, die Aktivitäten der Stadt und innovative Projekte. Aus meiner kleinen burgenländischen Perspektive staune ich über die Vielfalt und wie strategisch vorgegangen wird. Die SDGs (Nachhaltigkeitesziele der UNO) werden in viele Entscheidungen miteinbezogen. Aber ja – Nürnberg ist mit 400.000 Einwohnern eine eher mittelgroße deutsche Stadt und dennoch leben mehr Menschen dort, als im ganzen Burgenland. Von der Terrasse des Besprechungsraumes aus hat man übrigens den allerschönsten Blick auf die Burg! Ein Erlebnis!

Nach einer Stärkung marschieren wir durch die historische Altstadt, die von den Aliierten gegen Ende des zweiten Weltkrieges fast völlig zerstört wurde. Der Wiederaufbau ist meist ganz gut gelungen. Die Stadt hat die angeblich längste zusammenhängende Fußgängerzone Deutschlands und ist gut zu Fuß zu entdecken. Vor dem Germanischen Museum ist die Straße der Menschenrechte “sowohl eine Anklage gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten als auch eine zu Stein gewordene Mahnung an die Menschen, dass die Menschenrechte auch heute noch in vielen Staaten der Erde massiv verletzt werden.” Stolpersteine sind vor Häusern ins Pflaster eingelassen, wo Juden und Jüdinnen gelebt hatten. Geschichte ist allgegenwärtig.

Urban Gardening

Vom Konzept Weltacker habe ich schon öfters gehört. Wenn wir die globale Ackerfläche von 1,5 Milliarden Hektar durch die Zahl der Erdenbürger teilen, ergibt das 2000 m² pro Nase. Darauf muss also alles wachsen, womit Mutter Erde uns nährt und versorgt: Brot, Reis, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Öl, Zucker… aber auch all das Futter für die Tiere, deren Fleisch, Milch und Eier wir verzehren, Baumwolle für Jeans, Tabak für Raucher*innen, Bio-Gas oder Bio-Diesel und nachwachsende Rohstoffe für die Industrie. In Nürnberg wird gerade eine ehemals als Parkplatz verwendete Fläche, die von der Stadt zur Verfügung gestellt wird, von einem engagierten Team bearbeitet. Es gibt auch ein ähnliches Projekt unter dem Namen Weldtellerfeld in Wien.

Weiter geht der Weg zu Fuß zum nächsten Projekt Stadtgarten. Am Weg kommen wir am zweitgrößten leerstehenden Gebäude Deutschlands vorbei. Der ehemaligen Quelle-Zentrale. Ich kann mich noch gut an die Aufregung als Kind erinnern, wenn der Quelle-Katalog ins Haus flatterte und ich mir neue Kleider bestellen durfte. Quelle hat den Wandel zur Digitalisierung nicht geschafft und ist Pleite gegangen. Schon vor ca. 20 Jahren. Nun wird das
Gebäude in einem vorbildhaften Prozess unter Einbeziehung der Bürger:innen mit neuem Leben gefüllt. Dieser Beitrag gibt einen guten Einblick für alle, denen Stadtentwicklung, Architektur und der Erhalt bestehender Infrastruktur ein Anliegen ist.

Gleich hinter dem Quelle-Komplex treffen wir bei leichtem Regen nun im Stadtgarten ein. Die Fläche wird von Freiwilligen mit viel Liebe zum Detail und Nachhaltigkeit bewirtschaftet. Eine Oase in der Stadt und ein Ort der Begegnung. Von der Komposttoilette über Upcycling Ausstattung bis zu transportablen Hochbeeten, um gegebenenfalls schnell an einen neuen Standort übersiedeln zu können, ist alles gut durchdacht. Hier wird nicht nur gemeinsam gegartelt sondern auch gekocht und gefeiert. Dafür, dass es doch recht nass war, wurden wir mit einem wunscherschönen Regenbogen belohnt! Was man nicht sehen kann: mein geliebter Vintage-Mantel aus Schafwolle, der schwer und dichtgewebt ist und damit wunderbar warm hält, hat zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich heftig nach nassem Hund gerochen… Macht nix.

Den Tag lassen wir in einem feinen Lokal ausklingen, das ebenfalls in einer aufgelassenen Industrieanlage untergebracht ist, die u.a. als Kulturzentrum genutzt wird. Das Tellerrand in der Kulturwerkstatt “auf AEG” erinnert mich ein wenig an unseren FreuRaum in Eisenstadt. Da fühl ich mich gleich zuhause. “Bierchen und Bühnchen” als Name für das kleine feine Kulturprogramm find ich sehr sympatisch und das Veggie-Essen war fantastisch.

SAMSTAGSFREUDEN

In den Samstag starten wir mit dem Besuch des Gemeinwohl-Unternehmens Neumarkter Lammsbräu. Am Vormittag schon Bier verkosten, das kann ja was werden! Die Führung ist unterhaltsam und informativ. Der Betrieb legt viel Wert auf Nachhaltigkeit und Bio ohne Kompromisse. Das Bier frisch aus dem Tank mundet überraschend gut! Ich kaufe noch schnell vor Ladenschluss glutenfreies, alkoholfreies Bier für meinen Schatz und frage, ob es das auch in Österreich wo gibt. Die Verkäuferin schaut ratlos – aus dem Hintergrund ruft jemand: beim Denns Biomarkt. Die Verkäuferin: No wons da Chef sogt, muas stimman! Neumarkter Lammsbräu wird übrigens mit biozertifiziertem Wasser gebraut. Eine Rarität. Das enthält aufgrund der Biofelder ober der Erde und günstiger geologischer Bedingungen quasi keine Schadstoffe aus der Umwelt. Schmeckt man.

Ein progressiver CSU Bürgermeister beeindruckt

Zum Mittagessen im 2. Brauerei-Wirtshaus der Gansbrauerei treffen wir den Bürgermeister der Gemeinwohl-Gemeinde  Postbauer-Heng. Horst Kratzer ist von der CSU und seit 40 Jahren im Gemeinderat. Er trägt einen zünftigen Janker mit Hirschhornknöpfen und vertritt überraschend moderne Ansichten. Man spürt, dass dem Bürgermeister eine gute Zukunft wichtiger ist, als parteipolitische Spielchen. Als ich wieder zu Hause war, wollte ich die Probe aufs Exempel machen. Wir hatten in Eisenstadt als Opposition gemeinsam einen Antrag gestellt, dass das Amtsblatt sachlicher werden möge, eigene Beiträge von Kindergärten, Schulen, Vereinen… und auch allen im Gemeinderat vertretenen Fraktion entsprechend des Wahlergebnisses. Diesen Antrag hat die ÖVP abgelehnt. Und schau an: Man sieht, es geht auch ohne dass ein Bürgermeister auf 90% der Fotos, bis zu 40 Stück  pro Ausgabe, zu sehen ist. In Postbauer-Heng ist Bürgermeister Kratzer auf 1-2 Fotos zu sehen und ansonsten ist das Blatt genau so gestaltet, wie wir uns das als sachliche Bürger:innen- Information vorstellen (zu den letzten Ausgaben).

Der Austausch war überhaupt sehr wertvoll für mich. Einen Einblick zu bekommen, wie Politik und Verwaltung in unserem Nachbarstaat funktionieren und wie ein kluger Bürgermeister auch Skeptiker:innen für die Gemeinwohl-Ökonomie begeistert.

Who the f*** is Ludwig erhard

Die letzte Station, bei der ich dabei war, ist das Ludwig Erhard Zentrum in Fürth. Und ich oute mich jetzt als polit-geschichtliche Banausin. Vor dem Besuch des Museums und der wirklich sehr interessanten Führung durch die modern und abwechlungsreich gestaltete Ausstellung, kannte ich ihn nicht. Jetzt könnte ich ein Referat über ihn halten. Und was er für die deutsche Nachkriegsgeschichte bedeutet. Seine Einstellung sehe ich zum Teil differenziert. Was ich jedenfalls mitnehmen, sind Ideen für Ausstellungsgestaltung! Sehr beeindruckend!

Abschied am Sonntag

Bei den letzten beiden Programmpunkte der Exkursion – einem Frühstücksgespräch mit dem Gemeinwohl-Hotelier und Besuch des Reichtagsgeländes – kann ich leider nicht mehr teilnehmen. Ein nächster beruflicher Termin im Zeichen des Gemeinwohls wartet in Würzburg. Aber keine Sorge, Nürnberg, ich komme wieder. Und dann hab ich hoffentlich auch Zeit, Lebkuchen zu kaufen.

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